Blog / Events · KEYNOTE MIND MOVE 2019
SMARTE MENSCHEN FÜR SMARTE MASCHINEN – WO AUTOMATISATION EINE NEUE MENSCHLICHKEIT BRAUCHT
26. September 2019
FLS TEAM
Eigentlich soll Automatisation alles leichter und effizienter machen - wäre da nicht der Mensch. Über das Problem Mensch im Umgang mit digitalen Prozessen und Automatisation wird aktuell viel geforscht und kluges geschrieben. Nur wie praxisnah ist das?
DIE 5 SORTEN MITARBEITER
Forscher des Bereichs Supply Chainmanagement - Strategie und Innovation an der Universität Köln haben fünf Typen ausfindig gemacht, die in Unternehmen auftauchen.Die Funktionalisten. Für sie ist Automatisation ein Mittel zum Zweck, sie haben eine unkritische Nutzenperspektive, die nur darauf schaut, was man rausholen kann. Nicht überraschend ist, dass dies die Perspektive aller befragten Führungskräfte in der zugrunde liegenden Studie ist. Utilitaristische Führungskräfte glauben, ihre Sicht würde von den Mitarbeitern geteilt. Was aber nicht der Fall ist …
Die Utilaristen. Sie suchen auch nach dem Eigennutz und wägen persönliche Vor- und Nachteile ab. Finden Sie aber ausreichend eigene Vorteile, nehmen sie auch Nachteile in Kauf und können wichtige Botschafter für das gesamte Team sein. Ohne überzeugende Argumente und genug Vorteile für die Mitarbeiter geht es mit Ihnen aber nicht. Genausowenig mit den Traditionalisten. Sie brauchen vor allem eine Rollenklärung und müssen wissen, wo ihr Platz ist, wenn auf einmal Maschinen ihren Job übernehmen sollen. Sie sind die Bewahrer alter Fähigkeiten und können später mal, wenn der Strom ausfällt, einspringen.
Die Traditionalisten sind besonders kritisch. Und wenn es ihnen nicht gut geht, bekommen sie Verstärkung von den Anthros. Die stellen nämlich den Menschen in den Mittelpunkt und agieren als Anwalt des Teams. Sie sind nicht an sich technikfeindlich. Dennoch haben sie immer ein gewisses Unbehagen, wenn Technik vermeintlich zum Konkurrenten des Menschen wird. Eine sehr kleine, fast homöopathische Gruppe sind die Spieler. Sie haben Spaß an der Technik und sind neugierig, testen alles aus, kennen das System schnell besser als der Entwickler und können in schwierigen Zeiten als Problemlöser eingesetzt werden.
ES GIBT ZU WENIG SMARTE TYPEN
Nun wissen wir, mit welchen Typen von Menschen wir es zu tun haben.Leider sind nicht alle von ihnen smart. Ein Tipp aus der Studie Erfolgsfaktor Mensch im digitalen Wandel des Instituts für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen ist: Setzen Sie auf diejenigen, die die höchste Lernagilität aufweisen! Es sollen also nur die smarten Typen eingesetzt werden. Der Gap zur Realität ist klar: Es gibt jetzt schon zu wenig davon, aber wenn ich von denen, die es gibt, nur die agile Eliteauswahl einsetzen kann, wird es eng.
ABGEKOPPELTE FÜHRUNGSKRÄFTE
Ergebnisse aus der St. Gallener Studien sowie weiteren Studien zeigen eine überraschend geringe Vorerfahrung, digitale Affinität und auch überraschend geringe Beschäftigung mit Automatisation und Digitalisierung in der Führungsetage auf. Automatisation ist nur begrenzt Chefsache. 92 % der Vorstände habe keine oder kaum digitale Vorerfahrung. Das folgende Zitat einer Führungskraft ist symptomatisch: „Mit der Tourensoftware habe ich wenig zu tun. Das machen meine Mitarbeiter.“ Beispielsweise würden von 45 leitenden Mitarbeitern eines Baustoffhandels nur zwei mehr als 1h pro Woche für den digitalen Wandel einsetzen, obwohl sie glauben, dass ihre Zukunft davon abhängt.MYTHOS AGILE FÜHRUNG
Tatsächlich wird in den meisten Unternehmen das, was mit Automatisation zu tun hat, an externe Berater und in der Hierarchie niedrigere Mitarbeiter delegiert. Das Institut für Führung und Personalmanagement der Universität in St. Gallen empfiehlt deshalb, auf einen agilen Führungsstil und die Weiterentwicklung der Führungskräfte zu setzen. Was in der Praxis wiederum an Grenzen stößt. Nur wenige Chefs drücken gern noch mal die Schulbank. Der Wunsch ist der Vater des Gedankens von der agilen Führung.WER IST BESSER? MENSCH ODER MASCHINE?
Wenn Maschinen Aufgaben von Menschen übernehmen, dann kommt es zumindest unbewusst, oft aber ganz offensichtlich zum Wettstreit. Der Mensch gilt als fehlbar im Gegensatz zur rationalen Maschine. Um so lieber ertappen die Menschen die Maschine bei Fehlern: „Wir kontrollieren das Ergebnis der Software mit Google.“ Dies ist eine Aussage, die sehr deutlich macht, worum es eigentlich geht: um Rollenklärung und die Frage nach dem Erhalt menschlicher Autonomie.WER IST HIER AUTONOM?
Wenn dann aber die unfehlbare Maschine doch Fehler macht, Mensch ihr aber ausgeliefert ist, wachsen die Ängste. Der Fall Boeing hat hier neue Fragen aufgeworfen. Genauso aber auch die pressewirksamen Unfälle beim autonomen Fahren. Schon das Wort „autonom“ weist auf einen sehr unsensiblen Umgang mit der menschlichen Psyche hin - denn autonom wird hier die Maschine, nicht der Mensch.DAS STEUER IN DER HAND BEHALTEN
Der Mensch verfügt nämlich über Fähigkeiten, die ein Algorithmus niemals nachbilden kann: das Erkennen von Intentionen und Absichten, das Gespür für den Sinn von Handlungen. Die Maschine dagegen hält das Flugzeug auf Kollisionskurs, wenn es mit den falschen Daten gefüttert wird. So stand es in der FAS im März in einem Beitrag zu den Problemen der Boing 737, in der der Philosoph und Berater des Bundesverkehrsministeriums Julian Nida-Rümelin sehr deutlich die Gefahren der zunehmenden Verlagerung von Verantwortung an Maschinen aufzeigt. Insbesondere das Schwinden der Fähigkeiten des Menschen, im Ernstfall die Maschine abzulösen, weil dann keine Erfahrung und kein eigenes Rollenverständnis mehr den Menschen befähigt, die Situation zu bewältigen. So wie es Fertiggerichte geschafft haben, dass heute nur wenige selbst eine Brühe kochen können oder Kartoffelknödel noch selbst herstellen. Menschen verlernen ihre Steuerungsfähigkeit, wenn sie nicht steuern müssen. Sie verlieren ihre Autonomie! Dies bedient genau das irrationale aber weit verbreitete unangenehme Gefühl, das Menschen beschleicht, wenn Worte wie Künstliche Intelligenz oder smarte Maschine fallen.WHO RULES? DIE MACHTFRAGE
Die zwei wesentlichen Narrative von Mensch und Maschine handeln immer von der Machtfrage: who rules? In Zeiten von Robbi, Tobby und dem Fliwatüt oder Knightrider glaubten Menschen noch an ihre Steuerungsfähigkeit und Überlegenheit. Ende der Neunziger begann dann ein neues Narrativ eine andere Geschichte zu erzählen.DAS NARRATIV DER ÜBERMÄCHTIGEN MASCHINE
Das Narrativ von der übermächtigen Maschine handelt vom Kampf um die Herrschaft.„Was wir aber sicher wissen, ist, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts die ganze Menschheit in euphorischer Stimmung war. Wir bewunderten unsere eigene Genialität bei der Schöpfung der KI. Ein kolossaler Schritt, der eine völlig neue Art von Maschinen hervorbrachte. Wir wissen nicht, wer dann den Krieg begonnen hat, wir oder sie, jedenfalls waren wir diejenigen, die den Himmel verdunkelt haben. Die Maschinen waren damals auf Solarenergie angewiesen. Man nahm an, dass sie nicht überleben könnten ohne eine Energiequelle wie die Sonne. Dabei brauchen wir doch seit Menschengedenken die Maschinen, um selbst zu überleben. Der menschliche Körper wurde zur Energiequelle der Maschinen. Menschen werden nicht länger geboren, sie werden gezüchtet, um Energie für die Maschinen abzugeben.“
So erzählt es der Filmklassiker Matrix. Viele weitere Filme entwerfen die gleiche Geschichte vom Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Dr. Ingo Irsigler von der Christian-Albrecht Universität und Dominic Orth von der Bergischen Universität Wuppertal legen das in ihrem Aufsatz „Zwischen Menschwerdung und Weltherrschaft: Künstliche Intelligenz im Film“ dar. „Die Thematisierung von Künstlicher Intelligenz im Spielfilm folgt also typischen Handlungsmustern, wobei das gesellschaftlich relevante Thema der technologischen Reproduktion und Optimierung menschlicher Eigenschaften sowie die Auswirkungen Künstlicher Intelligenzen auf Mensch und Gesellschaft auf verschiedene Weise ausgestaltet werden. Die meisten KI-Filme weisen dabei eine technikkritische Tendenz auf, und die Zukunft mit Künstlichen Intelligenzen wird als wenig erstrebenswert in Szene gesetzt. Viele Fiktionen fungieren als Warnungen davor, sich einer womöglich unkontrollierbaren Technik auszuliefern …“
So weit, so düster: Es gibt nicht genug smarte Menschen, die Maschinen halten nicht, was sie versprechen und zwischen Mensch und Maschine droht ein Machtkampf, dessen Ausgang uns die Filmindustrie schon unerwartet technikfeindlich prognostiziert hat.
SYSTEMATISCHE ERFOLGSFAKTOREN
Was bedeutet das nun für die Praxis in den Unternehmen?
Schauen wir uns an, welche Möglichkeiten es gibt, systematische Erfolgsfaktoren für Automatisation zu schaffen: Im betrieblichen Umfeld, in Ihrer Wirklichkeit gibt es drei Punkte, auf die wir als Organisationsentwickler gucken, wenn es um Dysfunktionalitäten, Veränderungen und andere Herausforderungen geht: An drei Stellgrößen kann man schrauben. Führung, Mannschaft und Ziel. Wenn wir also eine Anamnese machen, in Fällen, wo Konflikte, zu hohe Fluktuation, Krankentage oder Ineffizienz und Misserfolg beklagt werden, gucken wir uns zunächst diese drei Eckpunkte an.
WORAN ES SCHEITERT
Untersucht man die fortschreitende Automatisation in Unternehmen, dann lassen sich drei wesentliche Faktoren des Scheiterns feststellen.Beziehungsverlust
Die Führung delegiert nach unten oder nach extern und koppelt sich so vom Prozess ab. Beziehungsverlust zur Realität der Mitarbeiter ist die Folge. In der Folge leidet die Akzeptanz entweder der Automatisation oder der Führung. Beides ist schlecht. Automatisation wird durch Distanz der Führung - auch und grade wenn die angeordnet hat - zum Fremdkörper, Störfaktor im System.
Einsamkeit
Durch Automatisation werden menschliche Kontakte reduziert. Das führt zu Vereinsamung. Zumindest zu einem Gefühl von Vereinsamung. Dadurch sinkt die Teamzufriedenheit, Krankentage nehmen zu. Die smarteren Mitarbeiter setzen sich von den weniger smarten ab. Die bestehenden Hackordnungen werden nun in Frage gestellt. Das Team leidet unter zunehmender Desintegration. Leider ist die Führung schon so weit abgekoppelt, dass sie nicht mehr korrigierend eingreifen kann.
Zielverfehlung
Besonders häufig findet eine Überhöhung des Automatisations-Prozesses statt. Man hat den Eindruck, man sei schon spät dran, Führung versteht nicht komplett, was sie da anordnet, aber muss nachweisen, dass Schritte gegangen werden, gerät unter Druck, mehr und mehr gerät das eigentliche Ziel aus dem Auge, Automatisation ersetzt auf einmal das ursprüngliche Ziel, zu dem sie eigentlich beitragen sollte.
Sinnverlust
Mitarbeiter wehren sich, in dem sie dann genau dieses Ziel hinterfragen. Die Software wird madig gemacht, „bringt uns nicht vorwärts, wir wissen nicht, warum wir das machen …“ Es entsteht Sinnverlust.
Sinn und Beziehung sind aber die beiden wesentlichen Bindungsfaktoren für Mitarbeiter und Teams. Ohne sie bleiben Mitarbeiter nicht beim Unternehmen.
DIE FALSCHE FRAGE
Aktuelle Studien und Ratschläge konzentrieren sich auf die Frage, wie können wir den Menschen ändern, damit Automatisation klappt?Und da liegt, glaube ich, der Hund begraben: Agile Führungskräfte, lernagile Mitarbeiter wären super. Wirklich! Aber die gibt es nicht in ausreichender Menge auf dem Arbeitsmarkt. Und außerdem: wohin mit dem Rest?
Die richtige Frage lautet: Wie muss sich die Maschine ändern, damit es mit dem Menschen klappt?
EIN NEUES NARRATIV
Damit aus Mensch und Maschine ein Team wird, muss sich nicht (zumindest nicht nur) der Mensch ändern. Vor allem und zuerst muss sich die Maschine ändern! Und zwar in der Rezeption. Mit einem neuen Narrativ, das sich der aktuellen Prägung durch die Filmindustrie bewußt ist und diese überwindet, kann das gelingen. Es ist mehr als ein Imagewechsel, aber man kann Instrumente der Imagebildung nutzen.NAMING
Es beginnt mit der Namensgebung. Namensgeber ist ein schöpferischer Akt und klärt das Machtverhältnis, eine Angleichung der Maschine an den Menschen. Kommunikation und Wording zeigt Beziehung, hier kann in Programmen viel verändert werden, was das Rollenverhältnis emotional klärt. Und Aufgabenprofile klären Rollen und begrenzen Allmachts bzw. Ohnmachtsgefühle.TEAMBUILDING
Wer die Maschine zum Teammitglied machen will, muss dann auch auf Teambuilding setzen, wenn beispielsweise eine Software einführt wird. Forming, storming, norming, performing. Moderierte Sitzungen mit einem „Stellvertreter“ der Maschine, der Gesicht und Stimme gibt, der einen Namen tragen kann. Das Wichtigste dabei: Die Autonomie und die Steuerungsgewissheit der Mitarbeiter stärken. Mit einer Geschichte und mit Methoden, in denen der Mensch autonomer Steuerer und kreativer Erschaffer ist und bleibt, gelingt das Teambuilding.Der FLS-Kundentag FLS MIND MOVE stand 2019 unter dem Titelthema SMART AUTOMATION.
Am 12. September 2019 fand in den Design Offices Hamburg ein interaktives Forum zur branchenübergreifenden Vernetzung mit Impulsen zu intelligenten Automatisierungsstrategien für Service & Logistik statt. Darunter: Insights aus Consulting & Development, ein interaktiver Leader-Workshop und viele Best Practice Cases. Es präsentierten u.a. Jungheinrich, Communisystems-Care und Netze BW.
Neugierig auf mehr zum Thema Automatisierung?
Hier geht’s zum Blogbeitrag "AUTOMATISIERUNG: AMBIVALENZ, ALGORITHMEN UND AM ENDE VIELLEICHT EINE NEUE MENSCHLICHKEIT" von Britta Brechtel
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