Servitization geht jedoch weiter als guter Kundenservice und wird in letzter Zeit durch andere Trends befeuert: Verstärkt durch die Digitalisierung und den gesellschaftlichen Wandel verlieren materielle Produkte zunehmend an Wert. Der Besitz tritt für viele Kund:innen in den Hintergrund. Stattdessen suchen sie immer häufiger nach der
kostengünstigsten Methode, anfallende Aufgaben zu erfüllen und Probleme zu lösen.
Durch Servitization folgen produzierende Unternehmen dieser Nachfrageveränderung: Anstatt reine Produkte zum Kauf anzubieten, vermarkten sie ein
kombiniertes Angebot aus Produkt und Dienstleistung. Für die Kund:innen bedeutet das, dass sie weniger Arbeit bei der Integration des Produkts haben und sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.
Für die Unternehmen bedeutet der kombinierte Ansatz
mehr Umsatz pro Kund:in ohne großen Aufwand, da das benötigte Know-how bereits vorhanden ist. In seiner Vollendung wird aus Servitization Product-as-a-Service bzw. eine Solution-as-a-Service.
DIE VERSCHIEDENEN ARTEN VON SERVITIZATION
Expert:innen unterscheiden bei Servitization drei verschiedene Arten von Services mit unterschiedlichem Umfang:
- Base Services: Das sind zu einem Produkt zubuchbare Optionen, zum Beispiel Ersatzteil-Service, Installation und Einrichtung vor Ort oder Anwendungs-Schulungen für das Personal
- Intermediate Services: Hierbei handelt es sich um Dienstleistungen, die sicherstellen, dass das Produkt stets funktions- und einsatzfähig ist, zum Beispiel regelmäßige Inspektionen, Wartung und Instandhaltung
- Advanced Services: Kund:innen kaufen nicht mehr das Produkt an sich, sondern eine bestimmte Leistung, die das Unternehmen mit seinem Service zur Verfügung stellt, zum Beispiel Leasing von Maschinen oder das „Power by the hour“-Modell von Bristol Siddeley bzw. Rolls-Royce (siehe unten)
DAS PRODUKT-SERVICE-VERHÄLTNIS BEI SERVITIZATION
Im Zusammenhang mit Servitization beschäftigen sich Expert:innen und Unternehmen häufig mit dem sogenannten
Produkt-Service-System. Es entsteht, wenn ein Produkt mit passenden Dienstleistungen zu einem neuen Gesamtpaket verknüpft wird. Dabei können
beide Anteile unterschiedlich gewichtet sein. Bei zunehmendem Serviceanteil ergeben sich folgende Stufen:
- Produktorientiert: Produkt steht im Vordergrund und wird nur durch einzelne Services wie Installation, Wartung und Reparatur ergänzt
- Integrationsorientiert: Zusätzliche Services wie Finanzierung, Entsorgung von Altgeräten oder Schulungen sollen die Anschaffung und Integration des Produkts erleichtern
- Serviceorientiert: Echtes Produkt-Service-System, bei dem beide Anteile essenziell sind, zum Beispiel Verkauf einer Anlage in Verbindung mit einem Überwachungsdienst; Entspricht den Intermediate Services
- Nutzungsorientiert: Verkauf einer Funktion anstatt eines Produkts, zum Beispiel durch einen Leasing-Service für Maschinen und Geräte
- Ergebnisorientiert: Dienstleistung ersetzt das Produkt vollständig, zum Beispiel durch einen Gärtnerservice anstatt des Verkaufs eines Rasenmähers
BEISPIELE FÜR ERFOLGREICHE SERVITIZATION
Das klingt für Sie alles etwas zu theoretisch? Die folgenden Beispiele für ein aus einem Produkt abgeleiteten Produkt-Service-System verdeutlichen das Potenzial von Servitization für das fertigende Gewerbe:
I. DAS „POWER BY THE HOUR“-ANGEBOT VON ROLLS-ROYCE
Bristol Siddeley, Hersteller von Flugtriebwerken, kam bereits in den 1960er Jahren auf die Idee, seine Antriebe den Fluglinien
nicht einfach wie herkömmlich zu verkaufen, sondern für einen Festpreis zur Verfügung zu stellen. Dabei wurde ein fester Preis pro Flugstunde vereinbart. Die
Abrechnung per Flugstunde verhalf dem Modell zu seinem Namen: „Power by the hour“. Nachdem Rolls-Royce das Unternehmen 1968 gekauft hatte, geriet diese frühe Innovation im Bereich Servitization jedoch zunächst in Vergessenheit.
Etwa 15 Jahre später griffen die Verantwortlichen den Grundgedanken erneut auf und entwickelten mit „TotalCare“ ein neues auf Servitization beruhendes Konzept. Gegen eine Gebühr erwarben Fluggesellschaften nun die
Bereitstellung eines Triebwerkes inklusive Überwachung, Wartung und Reparatur. Abgerechnet wurde auf Grundlage der Betriebsstunden.
Vorteile der Servitization:
- Weniger Schwankungen bei den Umsätzen durch Triebwerke
- Umsatzgewinn durch Integration von Reparatur, Wartung und Ersatzteilen
- Qualität und langlebige Triebwerke mit geringem Wartungsaufwand werden belohnt
Auf Seite der Fluggesellschaften bringt das Konzept ebenfalls viele Vorteile mit sich. Tatsächlich ermöglichte das „Power by the hour“-Prinzip erst die Entstehung moderner Billigfluggesellschaften, weil diese nicht mehr so viel Kapital für den Einstieg in den Markt benötigen:
- Weniger finanzielle Risiken
- Planbare Betriebskosten
- Bessere Verfügbarkeit für Triebwerke
- Geringere Ausfälle durch Überwachung und regelmäßige Wartungen
Andere Branchen und Unternehmen wie der Werkzeughersteller HILTI haben das „Power by the hour“-Konzept mittlerweile aufgegriffen und stellen ihre Produkte dem Kund:innen inklusive Wartung und Instandhaltung gegen einen Festpreis zur Verfügung.
II. ICI-NOBEL – EINE SERVITIZATION ERFOLGSGESCHICHTE
Als Hersteller von Sprengstoff für Steinbrüche litt das Unternehmen ICI-Nobel unter intensivem Preisdruck und sprunghaften Kund:innen, die sich nicht binden ließen. Die
schwache Wettbewerbsposition hätte das Aus bedeuten können. Stattdessen berief sich das Management auf die
Stärken innerhalb der Firma: Kompetenzen für das Durchführen und Optimieren von Sprengungen.
Anstatt weiterhin am umkämpften Markt für Sprengstoffe zu konkurrieren, änderte ICI-Nobel sein Angebot von einem reinen Produkt zu einer
Dienstleistung für Inhaber und Betreiber von Steinbrüchen: Die Planung, Vorbereitung und Durchführung von Sprengungen entsprachen genau dem, was diese eigentlich brauchen – der Sprengstoff war bisher nur Mittel zum Zweck.
Durch die nun nahezu perfekte Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Kund:innen erreichte ICI-Nobel nicht nur
höhere Gewinne, sondern auch eine
bessere Kundenbindung. Die Betreiberfirmen der Steinbrüche schätzten die für Sie entstehenden
Vorteile der Servitization: Sie mussten keine Facharbeiter:innen mehr beschäftigen oder gefährliche Sprengstoffe lagern, erzielten aber nach wie vor die gleichen Gewinne.
TIPPS FÜR NEUE GESCHÄFTSMODELLE IN IHREM UNTERNEHMEN
Wenn Sie in Richtung Servitization denken wollen, denken Sie aus der Sicht Ihres Kunden. Vergegenwärtigen Sie sich, was Management-Vordenker Peter Drucker sagte: